Texte/Melanie Letschnig: Atelier
Melanie Letschnig
Atelier
Gegeben ist eine Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Sie ist im Begriff, sich in ein Atelier zu wandeln. Langsam vermisst eine Kamera die Gegebenheiten. Sie nimmt Farben und Oberflächen auf, zieht an Wänden und Fenstern vorbei, fängt
die Lichtstimmung – sie ist herbstlich – ein. Dabei entfaltet die Bewegung der Kamera einen Raum, der auf den allerersten Blick keine Auffälligkeiten preisgibt. Die im Schwenk verstreichende Zeit verrät allerdings, dass es hier nicht mit (lot)rechten Dingen zugeht.
Wände springen vor und zurück, Verwinkelungen addieren unmögliche Perspektiven aneinander, geöffnete Türen stellen sich mitten in den Raum und geben den Blick auf ein Dahinterliegendes und noch nicht Vorhandenes frei. Ein Mauervorsprung wendet sich zur Kamera hin und sägt so einer Stehleiter das zweite Bein an. Abgeschabte Tapetenfetzen decken den Boden wie schweres Laub zu und türmen sich auf. Als wäre ein Wirbelsturm durchs Zimmer gefegt – frischer Wind ist gut fürs Denken.
Hier werden räumliche Einheiten auseinandergenommen und durch Zerteilung und Vervielfältigung zu einem Ganzen zusammengesetzt, dessen Dimensionen nichts mehr mit der Begrenzung eines Containers zu tun haben. Ich meine, diese Auseinandersetzung ist charakteristisch für den Umgang der Künstlerin mit Raum. Ihre Arbeit existiert nie unabhängig vom Austragungsort, immer lässt sie sich ein auf das, was sie umgibt, um es aus den Fugen zu heben und zu erweitern. Hier spielt das Faktische ins Imaginäre, das Gegebene in seine noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten. Ausgedrückt wird dieser Sprung durch die Dynamisierung statischer Aufnahmen. Fotos vom zukünftigen Atelier, die das Montieren der Kanten aneinander in Bewegung versetzt, Stillstand ist hier fehl am Platz.
In vorerst letzter Konsequenz wird das Ergebnis dieser räumlichen Erweiterung ins Unmögliche auf eine der tatsächlichen Wände des Ateliers projiziert und damit ein weiteres Fenster zum Unendlichen hin geöffnet. Konserviert wird hier nichts, alles bleibt offen.
Das Atelier gibt es nicht mehr. Die Art des Zugangs jedoch schon. Bestandsaufnahmen dienen lediglich dazu, die Perspektiven zu ändern, sie zu vervielfältigen. Die Künstlerin tut dies in und mit jedem Raum, den sie betritt, und transformiert ihn so durch die Sichtbarmachung ihres ganz eigenen Blicks auf die Dinge.